Totale Kontrolle

Ich habe im letzten Beitrag geschrieben, dass ich eine Menge Ereignisse in meinem Leben heute mit anderen Augen sehe und würde gerne etwas berichten, was die erschreckende Auswirkung von Bewusstseinskontrolle demonstriert.

Im Jahre 2005 befand ich mich in einer Umbruchsituation, da meine Beziehung zum Vater meiner Tochter zerbrach. Ich war damals so ziemlich am Ende, auf allen Ebenen, denn ich war arbeitslos, mittellos, trug die Verantwortung für einen Teenager und fühlte mich als totale Versagerin. Um mich herum Scherben, keinen Plan von der Zukunft.

Ich spielte ein Browsergame damals und die Mitglieder meiner Allianz trafen sich an einem Wochenende zum Zelten, Grillen und Quatschen. Für mich eine willkommene Gelegenheit, den Streitereien daheim den Rücken zuzukehren.

Einer der anderen Teilnehmer war ein Mann, mit dem ich mich online gut verstand und unsere Allianz gemeinsam leitete. Auch „in echt“ verstanden wir uns zwar gut, aber es gab einige sehr unschöne Momente, als der Betreffende zu viel getrunken hatte. Alkohol und grobes Verhalten stieß mich schon immer ab und als ich mich am Sonntag von allen verabschiedete, und zu dem Mann, nennen wir ihn E. kam, hatte ich einen sehr klaren Plan im Kopf:. „Ich muss das Chaos in meinem Leben beenden. Ich brauche einen Job, eine Wohnung, habe keine Zeit für das Browsergame und erst recht nicht, um eine Ally zu leiten. Und der Kontakt zu E. schläft dann auch ein.“ Ich spürte Erleichterung bei dem Gedanken.

Eine Sekunde später umarmte E. mich zum Abschied, murmelte etwas, von dem ich annahm, es sei ein Abschiedsgruß gewesen, denn ich hörte seine Worte nicht. Bei mir gingen alle Lichter aus. Ich meine das wörtlich. Es wurde schwarz, ich weiß nicht für wie lange und ich wunderte mich danach, wie ich das Bewusstsein komplett hatte verlieren können, ohne umzukippen. Danach war alles anders, ich war anders. Ich würde für Jahre wie besessen sein von diesem Mann, auf eine Weise, die für jeden, der mich kannte, absolut rätselhaft war. Am meisten für mich selbst, denn ich war vor dieser Umarmung ja sowohl entschlossen als auch erleichtert gewesen, ihn nie wiederzusehen.

Ich hatte oft an diesen seltsamen Moment zurückdenken müssen, denn es war für mich ein völliges Rätsel, was geschehen war. Wie das rebooten eines Computers, nach der Installation eines anderen Programms. Ich kann nur sagen, dass ich jahrelang innerlich durch die Hölle ging, da sich etwas in mir einerseits heftig widersetzte, während ich zugleich völlig hilflos gefangen, emotional an E für viele Jahre gebunden blieb. Sogar als ich den Kontakt schließlich abbrach, wir uns jahrelang manchmal aus den Augen verloren zuhaben schienen, bedeutete das nicht das Ende. Es passierten die unwahrscheinlichsten Dinge, die zu einer erneuten Begegnung führten. Einige Freundinnen, die ich im Laufe der Jahre traf, meinten, das sei wohl mein Seelenzwilling, deswegen sei unsere Verbindung sowohl so schwierig als auch unauflösbar. Glaubensmodelle können gefährlich sein, denn wenn es doch „der Eine“ ist, wieso sich dann noch wehren?

E. und die Erlebnisse mit ihm könnten Bücher füllen, und vieles, was er im Laufe der Jahre von sich gab, passt zu der Einsicht, zu der ich inzwischen kam. Das, was E. mir ins Ohr flüsterte, war das Passwort, mit dem ein neues Programm startete und ich den Besitzer wechselte. Wenn man sich von jemanden wie besessen fühlt, dann vielleicht, weil genau das der Fall ist.