Jäger und Gejagte

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Mein Onkel war passionierter Jäger, der einen Jagdschein und ein Arsenal an Waffen besaß und mir sehr früh bereits das Schießen beibrachte. Es gab nur ein klitzekleines Problem: Ich liebte Tiere, und zwar lebendig.

Ich erinnerte mich, wie ich bei einem Österreich-Urlaub mit zu einer Fischfarm genommen wurde, im Alter von ca. 4 Jahren. Mir wurde gezeigt, wie man einen Fisch mit einem gezielten Schlag tötet. Ich weigerte mich. Daraufhin bekam ich die Schläge. Außerdem Vorhaltungen auf der Rückfahrt im Auto, wie dumm und unlogisch meine Haltung war, weil das Tier meinetwegen hatte länger leiden müssen, anstatt dass ich ihm einen schnellen Tod geschenkt hätte.

Anscheinend versuchte man mich abzuhärten. Mir wurde im gleichen Alter auch gezeigt, wie man einen Hasen kopfüber aufhängt und ihm abzieht, den Geruch habe ich heute noch in der Nase. Ich wollte das nicht lernen, aber mein Onkel sagte, dass ich mit Hasen anfangen und mich dann zu größeren Tieren würde hocharbeiten müssen. Also bekam ich mehrfach gezeigt, wie man das Tier kopfüber aufhängt und wo man die Schnitte setzen muss. Oder zumindest wollte man mir das beibringen, aber ich fürchte, das hat ein anderer Anteil von mir gelernt, denn meine Alltagspersönlichkeit kann das nicht, und würde das auch nicht machen.

Meine Alltagsperson kann auch keine Waffe ruhig halten oder benutzen. Was sehr seltsam ist, da ich als kleines Mädchen eine erstklassige Schützin war und mich erinnere, dass ich einmal einen Schießstandbesitzer auf dem Jahrmarkt zur Verzweiflung trieb, weil jeder Schuss, bis auf den ersten, ein Treffer war. Den Fehlschuss hatte ich gebraucht, um zu sehen, wie sehr die Waffe verzogen war. Auch das hatte mein Onkel mir beigebracht. Nach einiger Zeit gebot mein Onkel meinem Treiben an der Schießbude jedoch Einhalt, wahrscheinlich zog es zu viel Aufmerksamkeit auf sich, wenn ein kleines Mädchen das Potenzial zur Scharfschützin besitzt. Wie gesagt, diese Talente müssen auf einen Anteil übergegangen sein, den man abgespalten hat. Dem Teil von mir, der dem Hirsch in seine gebrochenen Augen schaute. Letzteres ist keine normale Erinnerung, sondern ein Flashback. Irgendwas mit „die wilde Jagd“. Diese muss wohl Tradition im Kult gewesen sein. Wälder und Jagdhütten waren Teil meiner Kindheit, auch der bewusst erlebten, aber irgendwas habe ich wohl abgespalten, verdrängt, weil es zu schlimm war.

Viele Überlebende von RG berichten von Jagden, auf Tiere und Menschen. Die Kinder spielten dann die Rehe. Cathy O´Brien nannte es „the most dangerous game“. Wahrscheinlich wollte mein Onkel meine Chancen erhöhen, in diesem Spiel als Siegerin hervorzugehen, indem er mir beibrachte, wie man von der Gejagten zur Jägerin wird.

Diese Menschen in den Kulten, die ihre Kinder auf diese Weise großziehen, sie misshandeln, weil sie sie zu Tätern ausbilden wollen, haben eine völlig andere Ideologie als der Rest der Bevölkerung, eine Ideologie des „Survival of the fittest“. Sie sehen es als natürliche Auslese an und glauben an das Recht des Stärkeren. Wenn du Sieger bist, tust du, was du willst und nimmst du dir, worauf du Lust hast. Wenn du Schwäche zeigst, wirst du bestraft. Es ist eine kranke Ideologie, denn als Kind bist du immer der Schwächere. Und manche der wundervollsten Geschöpfe dieser Welt sind zart, zerbrechlich und vulnerabel.

Nichts ist edel an diesen Eliten, nichts herrlich an diesen Herrenmenschen. Sie sind selbst einer kranken Ideologie zum Opfer gefallen, welche die Umkehr all dessen ist, was sie propagieren und eine Abkehr von allem, was wahrhaft menschlich ist.

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